Die Gesellschaft verleiht seit 1986 die Salomon-Neumann-Medaille für besondere Verdienste um die Präventiv- und Sozialmedizin. Salomon Neumann (1819-1908) war einer der bedeutendsten Vertreter der Sozialmedizin, dessen Satz „Medicin ist eine Sociale Wissenschaft“ auf der Medaille eingeprägt ist.
Salomon-Neumann-Medaille
Die Preisträger:innen der Medaille
2024: Prof. Dr. med. David Klemperer, Regensburg
2023: Prof. Dr. Marie-Luise Dierks, Hannover
2022: PD Dr. PH Thomas Lampert posthum, Berlin
2021: Prof. Dr. med. habil. Matthias C. Angermeyer, Leipzig
2020: Prof. Dr. med. Dr. sc. (Harvard) Karl Lauterbach, Berlin
2019: Prof. Dr. med. Gerhard Trabert, Düsseldorf
2018: Prof. Dr. med. Gine Elsner, Frankfurt
2017: Prof. Dr. med. Bernt-Peter Robra (MPH), Magdeburg
2016: Gesundheitsmonitoring des Robert Koch-Institutes, Berlin
2015: Prof. Dr. Elisabeth Pott, Köln
2014: Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) – Vertretung Deutschland
2013: Prof. Dr. med. Dr. phil. Hans-Heinrich Raspe
2012: Prof. Dr. Rolf Rosenbrock
2011: Prof. Dr. phil. Ulrike Maschewsky-Schneider und der Bundesverband der Frauengesundheitszentren e.V.
2010: Dr. Hugo Tempelman, Groblersdal (Südafrika) u. die Deutsche AIDS-Hilfe
2009: Prof. Dr. med. Dr. phil. Alf Trojan, Hamburg
2008: Prof. Dr. med. Dr. h. c. Peter C. Scriba, München
2007: Prof. Dr. med. J. G. Gostomzyk, Augsburg
2006: gemeinsamer Bundesausschuss, Siegburg
2005: keine Preisverleihung
2004: Dr. Ferdinand Schliehe, Osnabrück
2003: Prof. Dr. rer. pol. Ralph Brennecke, Berlin
2002: Dr. Karl Hermann Haack, Berlin
2001: Prof. Dr. Johannes Siegrist, Düsseldorf
2000: Prof. Dr. phil. Ilona Kickbusch, New Haven
1999: Prof. Dr. rer. biol. hum. Hans-Konrad Selbmann, Tübingen
1998: Prof. Dr. med. Georges Fülgraff, Berlin
1997: Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner, Gütersloh
1996: Prof. Dr. med. Friedrich Wilhelm Schwartz, Hannover
1995: Prof. Dr. med. Kurt-Alfons Jochheim, Erftstadt
1994: Prof. Dr. Dr. h.c. Heinz Häfner, Mannheim
1993: Prof. Dr. med. Max Josef Halhuber, Bad Berleburg
1992: Prof. Dr. med. Fritz Hartmann, Hannover
1991: Prof. Dr. Geoffrey A. Rose, London
1990: Prof. Dr. med. Herbert Viefhues, Bochum
1989: Prof. Dr. med. Dr. h.c. Walter Holland, London
1988: Dr. med. Jo Eirik Asvall, Kopenhagen
1987: Prof. Dr. med. Dr. med. h.c. Frederick H. Epstein, Zürich
1986: Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hans Schaefer, Heidelberg
Über Salomon Neumann - eine biographische Annäherung
Salomon Neumann wurde am 22. Oktober 1819 im pommerschen Pyritz als Kind einer jüdischen Kleinhändlerfamilie geboren. 1838 legte er in Berlin das Abitur ab. Er studierte Medizin an den Universitäten zu Berlin und Halle-Wittenberg, wo er 1842 promovierte. Anschließend erweiterte er seine Kenntnisse in Wien und in Paris, den damaligen Zentren der modernen Schulmedizin. 1845 ließ sich Salomon Neumann in Berlin als Arzt nieder.
Wenn hinter jedem erfolgreichen Mann eine starke Frau steht, die ihm den Rücken frei hält, hieß für Salomon Neumann diese Frau Amalie Hurwitz. 1857 heiratete er die Hauslehrerin aus Hildesheim. 1864 erblickte Tochter Elsbeth das Licht der Welt.
Mit dem Buch „Die öffentliche Gesundheitspflege und das Eigenthum“ mischte sich Neumann im Jahr 1847 in die Debatte um die preußische Medizinalreform ein. Aus dieser Schrift stammt auch das Credo der Sozialmediziner, „die medizinische Wissenschaft ist in ihrem innersten Kern und Wesen eine sociale Wissenschaft.“ In den Kämpfen um eine Medizinalreform lernte Neumann Rudolf Virchow kennen, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verbinden sollte.
Nach der gescheiterten 1848er Revolution engagierte sich Neumann im Berliner Gesundheitspflegeverein. Aus den gesammelten Daten, die die Ärzte dieses Vereins zusammentrugen, publizierte er regelmäßige Berichte über Mortalität und Krankheitsverteilung, die erste, wissenschaftlich fundierte, medizinische Gewerbestatistik in Deutschland.
Im Dezember 1858 kandidierte Salomon Neumann erfolgreich für einen Sitz im Berliner Kommunalparlament. In den 46 Jahren als Stadtverordneter verschrieb er sich der hygienischen Modernisierung. Damals hatte Berlin kein eigenes Krankenhaus. Die Stadt verfügte weder über eine leistungsfähige Trinkwasserversorgung, noch über ein modernes Abwasserentsorgungssystem. Erst 1873 konnte mit den Bauarbeiten für ein unterirdisches Kanalsystem begonnen werden. 1877 und 1893 wurden zwei große Wasserwerke in Betrieb genommen, die eine qualitativ hochwertige Trinkwasserversorgung auf Jahrzehnte gewährleisten konnten. 1874 eröffnete das erste von mehreren modernen Krankenhäusern unter städtischer Verwaltung. Neumann trieb diese Entwicklungen mit voran als Mitglied in den verantwortlichen Kommissionen der Stadt Berlin. So wurde Berlin um 1900 ein weltweites Vorbild in Fragen der städtischen Hygiene.
Im Jahr 1861 organisierte Salomon Neumann die Volkszählung in der Stadt Berlin. Für die Zählung entwickelte er ein System mit Zähl- und Kontrolllisten, das die Erhebung von Sozialdaten und deren Nutzung durch die Kommune ermöglichte. Die Zählung verlief so erfolgreich, dass Neumanns Organisationsprinzipien in der nächsten Volkszählung von mehreren preußischen Großstädten kopiert wurden.
Als der Berliner Geschichtsprofessor Heinrich Treitschke im November 1879 eine publizistische Debatte über die Zugehörigkeit der deutschen Juden zur Nation lostrat – berüchtigt ist das von ihm geprägte Schlagwort „Die Juden sind unser Unglück!“ – reagierte Neumann mit einer demographischen Studie. In seiner Schrift „Die Fabel von der jüdischen Masseneinwanderung“, die sich ausschließlich auf offizielle Statistiken stützte, wies Neumann nach, dass die von den Antisemiten immer wieder behauptete jüdische Einwanderung aus den östlichen Nachbarstaaten nur ein Mythos war.
1903 starb Amalie Neumann. Neumann selbst erlitt im Jahr 1905 einen Schlaganfall. Er trat daraufhin von allen öffentlichen Ämtern zurück, so auch von seinem Stadtverordneten-Mandat. Salomon Neumann starb am 20. September 1908.
Günter Regneri
Salomon Neumann
Sozialmediziner – Statistiker – Stadtverordneter
Hentrich & Hentrich, Berlin
1. Auflage, 2011
„Die Medicin ist eine sociale Wissenschaft.“
Zur Genese eines Zitats
In der öffentlichen Wahrnehmung wird der Satz „Die Medizin ist eine soziale Wissenschaft“ gleich zwei Männern zugeschrieben: Rudolf Virchow und Salomon Neumann. Anhand der zeitlichen Abfolge der Publikationen zeigt sich, dass das Argument ursprünglich von Salomon Neumann entwickelt wurde. Doch erst durch die Debatte innerhalb des Kreises fortschrittlicher Berliner Ärzte, die sich in der preußischen Medizinalreformdebatte und der Märzrevolution 1848 engagierten, wurde es als politischer Begriff wirkungsmächtig. Für diese Ärzte war der Gesundheitszustand des Einzelnen wie der Gesamtgesellschaft auch Resultat der gesellschaftlichen Begebenheiten (z.B. Wohlstand und Bildung). Die Medizin müsse die Ursachen der Krankheiten nach (natur-)wissenschaftlichen Methoden erforschen und dabei auch die gesellschaftlichen Bedingungen berücksichtigten (z.B. durch eine umfassende sozialmedizinische Statistik). Folgerichtig seien die Mediziner aufgerufen, die gesellschaftlichen Bedingungen zur Verbesserung des Gesundheitszustandes politisch zu verändern.
Erstmals in diesem Sinne äußerte sich Salomon Neumann in seiner Schrift Die öffentliche Gesundheitspflege und das Eigenthum aus dem Jahr 1847 auf in der Form: „[…] die medizinische Wissenschaft ist in ihrem innersten Kern und Wesen eine sociale Wissenschaft“.
Das vollständige Zitat lautet:
„Eine weitere Ausführung dieser Frage, welches denn die eigentliche naturgemäße Organisation der menschlichen Gesellschaft sei, wäre in der That keine Ueberschreitung des kompetenten Gebiets einer Frage, die sich mit Leben und Gesundheit der Menschen beschäftigt, denn die medizinische Wissenschaft ist in ihrem innersten Kern und Wesen eine sociale Wissenschaft, und so lange Bedeutung in der Wirklichkeit nicht vindicirt sein wird, wird man auch ihre Früchte nicht genießen, sondern sich mit der Schaale und dem Scheine begnügen müssen.“
(Salomon Neumann: Die öffentliche Gesundheitspflege und das Eigenthum. Kritisches und Positives mit Bezug auf die preußische Medizinalverfassungs-Frage, Berlin 1847, S. 64-65.)
Rudolf Virchow griff den Satz erstmals am 20. Dezember 1847 auf. An diesem Tag hielt er auf der Jahressitzung der Gesellschaft für wissenschaftliche Medizin zu Berlin einen Vortrag mit dem Titel „Die naturwissenschaftliche Methode und die Standpunkte in der Therapie“:
„Der Physiolog und der praktische Arzt werden, wenn die Medicin als Antropologie einst festgestellt sein wird, zu den Weisen gezählt werden, auf denen sich das öffentliche Gebäude errichtet, wenn nicht mehr das Interesse einzelner Persönlichkeiten die öffentlichen Angelegenheiten mehr bestimmen wird. Die Medicin ist, ihrem innersten Kern und Wesen nach eine sociale Wissenschaft‘, wie das Herr Neumann in seiner Abhandlung über die öffentliche Gesundheitspflege und das Eigenthum […], welche ihrem Umfange nach klein, aber ihrem Inhalte nach unendlich größer ist, als Allees, was vor ihm in dieser Richtung geleistet ist, mit den scharfen Waffen eiserner Consequenz dargelegt hat.“
(Rudolf Virchow: Sämtliche Werke, Bd. 4, Abt. I, Medizin, Bern 1992, S. 355-356.)
Auch Rudolf Leubuscher äußerte sich in ähnlicher Weise. Neben Virchow war er Mitherausgeber der Wochenschrift Die medicinische Reform, dem Sprachrohr der demokratischen Ärzte. Die Zeitschrift erschien zwischen Juli 1848 bis Juni 1849 und Salomon Neumann gehörte zu ihren Autoren.
Rudolf Leubuscher in der Ausgabe vom 21. Juli 1848:
„Der Staat d. h. die Gesammtheit der Individuen hat die Verpflichtung längst erkannt, das feststehende Eigenthum eines jeden Einzelnen zu schützen, aber in der Anerkennung der Verpflichtung, das physische Wohl der Staatsbürger, ihre Gesundheit, ihre kostbarstes Eigenthum, zu wahren, das natürliche, angeborne Recht eines jeden Menschen wird die medicinische Gesetzgebung noch viele Lücken auszufüllen haben. Die Medicin ist eine rein sociale Wissenschaft; in diesem Augenblicke fehlt diesem Worte jedoch noch der praktische Inhalt.“
(Rudolf Leubuscher: „Zur Reform der Sanitätspolizei“, in: Die medicinische Reform. Eine Wochenschrift, erschienen vom 10. Juli 1848 bis zum 29. Juni 1849, Reprint, Berlin 1983, S. 11.)
Erneut Rudolf Virchow am 3. November 1848:
„Und wer kann sich darüber wundern, dass die Demokratie und der Socialismus nirgend mehr Anhänger fand, als unter den Aerzten? dass überall auf der äussersten Linken, zum Theil an der Spitze der Bewegung, Aerzte stehen? die Medizin ist eine sociale Wissenschaft, und die Politik ist weiter nichts, als Medicin im Grossen“.
(Rudolf Virchow: „Der Armenarzt“, in: Die medicinische Reform. Eine Wochenschrift, erschienen vom 10. Juli 1848 bis zum 29. Juni 1849, Reprint, Berlin 1983, S. 125.)
Als Salomon Neumann dann im Mai 1849 seine Studie Zur medicinischen Statistik des preussischen Staates veröffentlichte, lautete die Überschrift des zweiten Kapitels: „Die medicinische Wissenschaft ist eine sociale Wissenschaft“. (Salomon Neumann: Zur medicinischen Statistik des preussischen Staates. Nach den Acten des statistischen Büreau’s für das Jahr 1846, Berlin 1849.)
Günter Regneri, 2011