Stellungnahme zur „Stärkung der Öffentlichen Gesundheit“

Stellungnahme zur „Stärkung der Öffentlichen Gesundheit“

Gemeinsame Stellungnahme der Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention, Deutsche Gesellschaft für Public Health, Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie und Deutsche Gesellschaft für Medizinische Soziologie zum Referentenentwurf des „Gesetzes zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit“.

Die oben genannten Fachgesellschaften sehen den Referentenentwurf des „Gesetzes zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit“ kritisch.


Begründung:
Nach der Absichtserklärung im Koalitionsvertrag 2021, ein Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit zu gründen, ging die Fachwelt davon aus, dass Deutschland endlich eine zentrale Einrichtung zur Koordination der diversen Akteure im Public-Health-Bereich in Sinne des „Health in All Policies“ Ansatzes (HiAP) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bekommen würde. Außerdem wurde in Aussicht gestellt, die unterschiedlichen Akteure im Öffentlichen Gesundheitsdienst der 16 Bundesländer zu unterstützen und zu vernetzen – sowohl inhaltlich als auch mit kompatiblen Datensystemen.
Zur inhaltlichen Gestaltung dieses neuen Instituts1 wurde von den Public Health-Akteuren auch eine Reihe von Vorschlägen eingereicht (vgl. Zukunftsforum Public Health 2023).
Der nun vorgelegte Referentenentwurf zur Einrichtung des neuen Institutes als Nachfolge für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) löst Irritation in der Fachöffentlichkeit aus. Das neue Institut sieht eine Neuordnung der Public-Health-Strukturen auf Bundesebene vor. Neben der BZgA sollen die Aufgaben der Gesundheitsberichterstattung und des Gesundheitsmonitorings vom Robert Koch-Institut (RKI) in das neue Institut übergehen. Der Fokus dieses neuen Instituts soll auf der Entwicklung und Unterstützung von evidenzbasierten Präventionsmaßnahmen, der Erhebung von Daten sowie einer besseren Gesundheitskommunikation liegen. Zudem soll eine (freiwillige) Unterstützung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes erfolgen, dessen Steuerung allerdings weitgehend den Bundesländern obliegt.
Einige Kritikpunkte aus der Fachwelt wurden bei der Begründung des neuen Gesetzesvorhabens aufgenommen und im Einleitungstext des Gesetzentwurfs angesprochen. Sie finden aber in den verbindlichen Vorgaben keine Entsprechung.

1 Nomen est Omen: Bereits der Name des geplanten neuen Instituts ist irreführend. Die Gesundheit der Bevölkerung wird nur zum Teil durch die Medizin beeinflusst. Dies gilt auch für „Aufklärung“ als Präventionsstrategie. Die meisten Menschen wissen, dass ihr Handeln nicht ihre Gesundheit fördert. Oft haben sie aber durch ihre Lebensverhältnisse wenig gangbare Alternativen.

Unzureichende gemeinsame Prävention und Krisenreaktion
Der vorliegende Entwurf lässt befürchten, dass die notwendige gemeinsame Prävention von übertragbaren und nicht-übertragbaren Erkrankungen durch Reibungsverluste und unklare Zuständigkeiten erschwert wird. Gleichzeitig ist zu befürchten, dass eine schnelle, adäquate und effiziente Reaktion auf Gesundheitskrisen und Information für die Politik und Verwaltungen gerade in den nächsten Jahren sehr schwer zu gewährleisten sein werden. Eine wichtige Lehre aus der Pandemie war jedoch, dass die von Infektionen und den nichtinfektiösen Pandemiefolgen am stärksten Betroffenen meist der gleichen Bevölkerungsgruppe zuzuordnen waren, d.h. sozial benachteiligten Menschen. Im Laufe der Pandemie sind beim RKI daher auch die entsprechenden Arbeitsgruppen deutlich näher aneinandergerückt; die Synergie war für beide Bereiche befruchtend und erhöhte die Arbeitsfähigkeit. Mit Blick auf die pandemic preparedness ist die vorgesehene Aufspaltung der Zuständigkeiten daher kontraproduktiv und als Rückschritt zu betrachten.

Organisatorisches/Finanzierung
Gegenwärtig teilen sich die unterschiedlichen Abteilungen im RKI eine gemeinsame (Forschungs-) Infrastruktur, die am Standort Berlin lokalisiert ist. Die Aufspaltung und Überführung von Aufgaben des RKI in ein neues Institut ist dysfunktional; es drohen Effizienzverluste und Parallelstrukturen. Die im Gesetzesentwurf angeführten Mehrkosten sind nicht transparent gegenfinanziert. Es ist nicht erkennbar, an welchen Stellen die Gegenfinanzierung erfolgen soll und an welchen Stellen es zu Einsparungen kommen soll. Insgesamt erscheint der Plan, ein komplett neues Institut mit potenziell wichtigen Aufgaben ohne substantielle und nachhaltige neue Investitionen zu schaffen, aussichtslos. Mit 30 Mio. Euro Erfüllungsaufwand der Verwaltung ist das Gesetz zur Stärkung der Öffentlichen Gesundheit vollkommen unterfinanziert.

Weisungsbindung
Im Gesetzesentwurf steht „Wie bisher auch bleibt die Unabhängigkeit des RKI gewahrt und es bleibt in seiner wissenschaftlichen Arbeit weiterhin weisungsungebunden.“ Wenn das Gesundheitsmonitoring und die Gesundheitsberichterstattung an das neue Institut verlagert werden, müssen diese wichtigen Aufgaben ebenfalls auf einer wissenschaftlich unabhängigen Arbeit beruhen. Eine explizite Bestätigung der Weisungsungebundenheit des neuen Instituts fehlt im Entwurf. Dabei ist zu befürchten, dass eine politische Einflussnahme auf die Gesundheitsberichterstattung des Bundes das, z.B. durch die großen bundesweiten Gesundheitsstudien, aufgebaute Vertrauenskapital zerstört.

Unterstützung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes
Wie die Unterstützung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes konkret aussehen soll, ist offen. Ein ausgereiftes Konzept ist nicht zu erkennen. Sofern dies aber eine der wichtigen Aufgaben und Zielstellungen des neuen Instituts sein soll, ist eine mit den Ländern abgestimmte deutliche verbesserte gesetzliche Grundlage notwendig.

Gesundheitliche Ungleichheit 2
Da der Fokus im Referentenentwurf auf die neuen Aufgaben des vorgesehenen Instituts legt bzw. auf Aufgaben, die es vom Robert Koch-Institut übernehmen soll, sehen wir die Gefahr, dass wichtige Projekte von beiden Einrichtungen eingestellt bzw. nicht mehr finanziert werden. Dies bezieht sich z.B. auf die Gesundheitsberichtserstattung des RKI zur gesundheitlichen Ungleichheit und die Bekämpfung derselben im von der BZgA getragenen und finanzierten Kooperationsverbund „Gesundheitlichen Chancengleichheit“3. Das Thema der gesundheitlichen Ungleichheit ist zentral für die öffentliche Gesundheit in Deutschland und wird überdies im Entwurf überhaupt nicht erwähnt. Vielmehr wird lediglich auf verhaltensbezogene Ansätze der WHO abgehoben, die bekanntermaßen Menschen in vulnerablen Lebenslagen kaum erreichen – im Gegensatz zu verhältnispräventiven Maßnahmen der Gesundheitsförderung.

2 Bei Männern der niedrigen Einkommensgruppe versterben 27% vor der Vollendung des 65. Lebensjahrs, während die vorzeitige Sterblichkeit in der höchsten Einkommensgruppe ca. 14% beträgt. Bei den Frauen versterben 13% der niedrigen und 8% der höchsten Einkommensgruppe vorzeitig (Lampert et al. 2019).
3 Kooperationsverbund “Gesundheitliche Chancengleichheit (2024) Soziale Lage und Gesundheit aufgerufen am 27.6.24:
https://www.gesundheitliche-chancengleichheit.de/kooperationsverbund/hintergruende-daten-materialien/soziale-lage-und-gesundheit-fakten-und-daten/

Fazit
Der aus der Fachwelt erwartete und erhoffte institutionelle Rahmen, um Public Health in Deutschland zusammenzuführen und neu auszurichten, ist aus unserer Sicht ausgeblieben. Stattdessen wird durch eine fragwürdige Konstruktion Public Health aus unserer Sicht eher geschwächt, indem einer zentralen, funktionierenden und bewährten Institution wichtige Arbeitsbereiche entzogen werden, die neu geschaffene Institution aber finanziell unzureichend aufgestellt wird und zudem mehr Aufgaben übernehmen soll, als die darin überführten Institutionen bislang übernehmen. Sowohl die Prävention übertragbarer und nicht-übertragbarer Erkrankungen als auch die Reaktion auf gesundheitliche Krisen wird damit erschwert.
Aus unserer Sicht könnte eine deutliche Stärkung der öffentlichen Gesundheit in Deutschland durch die Schaffung eines Instituts erzielt werden, welche sowohl die bisherigen Aufgaben des RKIs als auch die der BZgA übernehmen würde. Dieses Institut müsste jedoch ausreichend finanziert werden, um die anvisierten neuen Aufgaben zu erledigen. Eine echte „Health in All Policies“ Strategie muss auch Arbeit, Verkehr, Umwelt und Bildung u.v.a. umfassen. Daher muss das geplante Institut eng mit Bundeseinrichtungen in anderen Ressorts verzahnt sein, deren Handeln Auswirkungen für die Gesundheit der Bevölkerung haben, z.B. mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), dem Umweltbundesamt (UBA), dem Deutschen Jugendinstitut (DJI). Ausgehend hiervon sollte ein ressortübergreifender Abstimmungsmechanismus entwickelt werden, der dann über die Behörden hinaus alle Ministerien selbst für ihre Einflüsse auf die Gesundheit der Bevölkerung ansprechbar macht. Bei allen relevanten politischen Entscheidungen sollte eine Gesundheitsfolgenabschätzung durchgeführt werden.

gepostet von DGSMP veröffentlicht am 02. Juli 2024